Donnerstag, 18. November 2010

Gipfel

Argentinien ist ein Land großer Distanzen. Und um die als weilen zu überbrücken braucht man einen fahrbaren Untersatz. Nach langer Warterei mit allerlei Unsicherheiten ist vor knapp zwei Wochen nun mein bestelltes Motorrad angekommen. Nach einer fünfminütigen Einweisung (Gang rein, Gas, Schalten… und wo bremsen? Achso, da unten) fuhr ich die ersten Liter spottbilliges Benzin auf einem schön großen, leeren Campo weg. Der Verkehr im Ort erfordert etwas mehr Präzision - Mut beim rechts überholen, schnelles Anfahren zum Reindrängeln und Manövrierfähigkeit beim umfahren sehr hoher Speedbumps - mittlerweile aber kein Problem mehr.
Also bin ich seitdem, wann immer mir ein paar frei Stunden bleiben, unterwegs. Schotterstraßen ins nirgendwo, Feldwege auf verlassenen Hochebenen, kaum noch erkennbare Pfade in die Pampa, Dirttracks in die Berge der Umgebung.
Am Samstag habe ich dann endlich den höchsten Berg der Umgebung, den Piltriquitron, bestiegen. Auf dem Gipfel, 1500 m über der Talsohle und noch von Schneefeldern umgeben, umkreiste mich ein Kondor in sehr geringer Entfernung, mit über zwei Meter Flügelspannweite der größte lebende Vogel.
Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Motorrad zu einem exponierten Felsvorsprung über dem Rio Azul, warf danach einen Blick auf den „Cabeza del Indio“, den Kopf des Indio, um zu meinem eigentlichen Ziel weiterzufahren, dem Perrito Moreno. Im Winter ein Skigebiet, war der Aufstieg durch kahlgeschlagene Schneisen ein kläglicher Anblick. Dann öffnete sich der Wald zu einer Hochebene, dem „Plateau“, noch bedeckt von kilometerbreiten Schneefeldern, über die ich auf den Gipfel zulaufe. Am Fuß des letzten Anstiegs muss ich leider umkehren, da die Sonne schon tief steht und den Schnee so stark aufgeweicht hat das ich bis an die Knie einsinke. Ich klettere noch ein bisschen in den Felsen rum, lasse mich dann über ein Schneefeld abwärts gleiten; der schwere, aufgefirnte Schnee rutscht mit. Alles unter Kontrolle, rede ich mir ein, um den Mordsspaß, den ich inmitten meiner kleinen Lawine habe, nicht beenden zu müssen. Als die Steigung nachlässt kommt tatsächlich auch alles zum stehen, und ich muss mich, Hose und T-Shirt voller Schnee, an den Abstieg machen. Nass, sonnenverbrannt, erschöpft und glücklich setze ich mich auf meine Enduro und  bretter nach Hause.


Platttform am Piltri erreicht, ab hier zu Fuß

Abfahrt vom Piltri

Somewhere in Nowhere

Am Piltriquitron

Valle del Rio Azul

Blick vom Piltriquitron

Gipfel des Piltriquitron, 2280 m

Valle Encanto Blanco, Blick vom Perrito Moreno

Cabeza del Indio

Über Schneefelder zum Perrito Moreno

Kondor über dem Piltri

Aufstieg zum Perrito Moreno

Dienstag, 2. November 2010

Momentaufnahme, Novemberanfang



Neue Impressionen, mitten aus dem Frühling. Da sich in Argentinien sowieso niemand an Vorschriften, schon gar nicht an Schutzvorschriften hält, beschloss auch der  Schöpfer, die Atmosphäre habe hier kein Ozon nötig. Wo vor einem Monat noch fast Winter war, erlebt man daher schon Mittagshitze wie in deutschen Jahrhundertsommern.



Argentinien, kulinarisch; Nichts falsch machen kann man mit den besten Stücken vom Argentinischen Rind – Lomo - und dem Besten der Argentinischen Syrah-Traube - Rotwein aus Mendoza.






Was gibts außerdem zu berichten...?
Mittlerweile unterrichte ich die dritte und fünfte Klasse in Deutsch, sowie die Klassen vier bis sechs in Zeichnen und Malen. Mit der Vorbereitung der Unterrichtsstunden ist das ein gewaltiger Zeitaufwand, anspruchsvoll, aber auch zufriedenstellend. Ich bin schon eher Lehrer als nur ein"Voluntario para todo". So kanns weitergehen. 
Wenn denn alles gutgeht werde ich in den nächsten Tagen auch dem Argentinischen Geschäftswesen und der Bürokratie gegenüber punkten können; mein Motorrad kommt angeblich in wenigen Stunden an! Bar jeder Ironie nannte mir der Verkäufer heute morgen eine minutengenaue Ankunftszeit, nachdem ich nun schon fast vier Wochen zu lang warte.
Ich bin zur Ruhe gekommen, meine Gedanken kreisen ums Jetzt, um die vergangen und kommenden Jahre, um das Land und die Leute die ich gerade kennenlerne. Ich fühle mich befreit, und meine Pläne reichen eigentlich nie über die nächsten zwei Tage oder zwei Stunden hinaus. Klingt schon beinah nach argentinischer Gelassenheit. Nur das Gelassenheit und Unpünktlichkeit, zu Religion und Gesetz erhoben, sich aufgemacht haben jede Planmäßigkeit zu konterkarieren.
Einzig verlässlich, und heilig, Ladenschluss zur Mittagszeit. Doch mittlerweile habe ich mich auch an die Siesta gewöhnt, die mich anfangs oft vor verschlossenen Türen hat stehen lassen.